Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie sich unser Arbeitsalltag in Zukunft, sprich in 10 Jahren, verändern wird? Vielleicht leben Sie schon in dieser Zukunft? Grundzüge der Veränderung sind bereits hier. Manche gefallen uns so gar nicht.

Lynda Gratton, eine Professorin am London School of Economics, beschäftigt diese Frage seit über vierzehn Jahren. Ihr Interesse ist nicht nur fachlicher sondern auch persönlicher Natur. Als Mutter von zwei Kindern sorgt Sie sich um die Zukunft dieser Kinder. Die werden in wenigen Jahren die Arbeitswelt betreten und Gratton möchte sie so gut wie möglich darauf vorbereiten.

2004 rief sie deshalb ein Projekt ins Leben, dass die Zukunft der Arbeit erforschen sollte. Das Projekt “Future of Work” untersucht seither alle Faktoren, die unseren Arbeitsalltag verändern werden. Insbesondere fünf Faktoren werden einen nachhaltigen Einfluss ausüben: Technologie, Globalisierung, Demographie und Langlebigkeit, Gesellschaft (Verstädterung und Aufbrechung traditioneller Lebensformen) und die Verknappung natürlicher Ressourcen.

Die ersten Erkenntnisse fasste Sie 2011 in dem Werk “Job Future, Future Jobs” zusammen. Das Buch prognostiziert, wie unsere Arbeit 2025 aussehen wird. Allerdings können wir bereits heute viele der Entwicklungen beobachten.

Gratton stellt in Ihrem Buch sowohl eine vorgezeichnete wie eine gestaltete Zukunft vor. Wer sich auf diese Zukunft vorbereitet, kann sie durchaus gestalten und die positiven Entwicklungen nutzen. Und der Rest von uns? Dem wird die Zukunft mit schmerzhaften Konsequenzen vorgezeichnet.

An dieser Stelle soll ein Aspekt herausgegriffen werden, der unser Leben enorm verändern wird: die Zersplitterung.

Eine zersplitterte Arbeitswelt

Haben Sie schon einmal eine berufliche Email von zu Hause versandt oder ein Bericht auf Ihrem privaten Rechner geschrieben; vielleicht telefonieren Sie sogar regelmäßig mit Ihren Kunden nach Feierabend?! Dann haben Sie die ersten Anzeichen einer Zersplitterung der Arbeitswelt kennen gelernt. Willkommen in der Zukunft. Bald werden wir nur noch in Geschichtsbüchern lesen können, dass Menschen Arbeit und Privatleben trennten.

Diese Entwicklung ist schleichend und Eva Illouz bezeichnet es als eines der größten Errungenschaften des modernen Kapitalismus, dass wir diese Trennung selbst beschleunigen. Während unsere Eltern noch zur Arbeit gingen, um Geld zu verdienen und Ihr Leben zu bestreiten, gehen wir heute zur Arbeit, um unser Selbst zu verwirklichen. Geld spielt dabei eine wichtige Rolle, aber eben nicht die Ausschlaggebende. Wenn die Arbeit nicht zu meinem Selbst passt, dann wird das Geld nicht genug Kompensation bieten, um lange zu bleiben.

In dieses Bild passt ebenfalls, dass viele junge Menschen heute für Arbeit zahlen. Man denke nur an die Work & Travel Kultur. Es gibt unzählige Anbieter, die einem simpel gesagt Arbeit verkaufen. Das Erfolgsrezept dieser Anbieter?! Es wird als Erlebnis und nicht als Arbeit vermarktet. So etwas war unseren Eltern jedenfalls völlig fremd.

Wir sind ferner die erste Generation, die kostenlos arbeitet, weil die eigentliche Ausbildung nicht mehr reicht. Bevor wir Geld fordern dürfen, müssen wir einige Praktika absolvieren. Neben diesen Praktika arbeiten wir in unterschiedlichsten Aushilfsjobs, um unser Leben finanzieren zu können. Freizeit passt da nur bedingt in die eigene Lebensplanung. Und am meisten leidet das Studium darunter.

Meine Generation lernt deshalb die Zersplitterung live kennen und treibt sie gleichzeitig voran. Konzepte wie ein Homeoffice gehören hier ebenfalls rein. Es ist ein tolles Konzept, aber mit folgenreichen Konsequenzen. Alle, die es eine Zeitlang probieren, berichten vom gleichen Problem: die Verschmelzung von Arbeit und Privatleben ist schleichend aber kaum zu stoppen.

Jill, eine getriebene junge Frau

Ein ähnliches Szenario stellt uns Gratton in Ihrem Buch vor. Jill, eine der Hauptprotagonisten, arbeitet für ein globales Unternehmen.

Jill beginnt und endet Ihre Arbeit nicht im Büro, sondern in den eigenen vier Wänden. Die Technisierung der Arbeitswelt bietet alle Voraussetzungen dafür. Konferenzen werden nur noch virtuell geführt, dafür aber mit hochauflösenden 3D-Bildern. Das schont die Umwelt und spart Kosten für Dienstreisen. Wer sich morgens nicht im Schlafmantel zeigen möchte, der nutzt einfach seinen Avatar - einen virtuellen Stellvertreter.

Während Jill schon morgens die ersten 3D-Gespräche führt, geht Sie parallel Ihre Emails durch und prüft, ob neue Aufträge eingegangen sind. Geduld passt nicht in diese Welt. Ein Kunde, der länger als zwölf Stunden auf eine Antwort warten muss, wird sich unweigerlich fragen, ob dieses Unternehmen der richtige Partner ist. Schließlich zeigt Amazon schon heute, dass ein Paket innerhalb von zehn Stunden nach Bestelleingang geliefert werden kann.

Gegen 11 Uhr fährt Jill in Ihr Büro, das eigens für Sie und Ihre Kollegen eingerichtet wurde. Im Zug beantwortet Sie Emails und aktualisiert Ihren Terminkalender, damit keine Deadline übersehen wird. Nach der Ankunft loggt Sie sich in den Server ein, den Sie mit allen Kollegen weltweit nutzt. Hier erledigt Sie einige Aufträge und klärt Probleme mit Kollegen. Gegen 15 Uhr führt Sie eine Videokonferenz mit Ihrem Vorgesetzten in Los Angeles, der erst vor wenigen Minuten wachgeworden ist. Sie klärt Ihn über die Verhandlungen mit einem ruandischen Telekommunikationsunternehmen auf, das im Begriff ist eine große Anzahl von Chips für Smartphones zu ordern. Insbesondere in südlichem Afrika entwickeln sich Smartphones zum wichtigsten Zahlungsmittel.

Nach einer Stunde endet Ihr Gespräch und Sie prüft interne Mitteilung. Ein Kollegenteam aus der Zentrale in Los Angeles möchte mit Ihr darüber diskutieren, wie man Kenia als Kunden gewinnen könnte. Dazu wurde ein Telemeeting für 16:30 angesetzt. Um 17:30 Uhr verlässt Jill schließlich das Büro und eilt nach Hause. Zuvor macht Sie einige Besorgungen im Einkaufszentrum. Gegen 19 Uhr kehrt Sie in Ihre Wohnung zurück und bereitet zunächst eine Mahlzeit vor.

Um 22:00 startet Sie noch einmal Ihren Laptop und führt eine Videokonferenz mit Peking, um die Kollegen auf den neuesten Stand zu bringen und Liefertermine abzustecken. Nach 20 Minuten endet das Gespräch und Jill setzt sich mit einer Tasse Tee vor dem Fernseher, um abzuschalten.

Eine Welt im Dreiminutentakt

Wir haben hier das erste Szenario einer zersplitterten Welt, die insbesondere den Dienstleistungssektor betreffen wird. Gratton stellt an diesem Beispiel eine vorgezeichnete Zukunft dar, in der Jill getrieben ist und Ihre Umwelt kaum beeinflussen kann. Sie wird insbesondere von Technik und dem globalen Wettbewerb um Kunden kontrolliert. Sie muss ständig erreichbar sein.

Gratton postuliert ferner, dass kein Arbeitsablauf länger als drei Minuten dauern wird. Ständig werden wir bei der Arbeit unterbrochen; von eingehenden Emails, Telefonanrufen, Kollegen, unvorhergesehenen Anfragen, verärgerten Kunden…

In meiner derzeitigen Tätigkeit erzählen mir alteingesessene Kollegen, wie die Korrespondenz vor Einführung der Email vonstatten ging und ich bin fasziniert. Die Email ist ein fantastisches Werkzeug, allerdings scheint dieses Werkzeug mit dafür verantwortlich zu sein, dass wir seltener nachdenken, bevor wir etwas schreiben. Das macht auch Sinn. Wer noch vor 15 Jahren eine Frage hatte, überlegte sich zwei Mal, bevor er einen Brief schrieb. Die Beantwortung brauchte geraume Zeit. Die Menschen haben eher selbst nachgeforscht, schließlich erhielten sie alle notwenigen Unterlagen in einer Infomappe. Heute erhalten sie die gleiche Mappe, aber scheinen sie kaum noch zu studieren. Warum auch?! Eine Email ist schnell geschrieben.

Während meiner Studienzeit ereignete sich ein Vorfall im Vorlesungssaal, der ebenfalls charakteristisch für diese Entwicklung ist. Unser Professor stellte uns einige Grundlagenwerke vor, die wir unbedingt lesen sollten. Darunter fand sich das Werk von Max Weber ‘Politik als Beruf’. Auf seiner Webseite veröffentliche er später diese Liste, damit wir sie jederzeit abrufen können. Die nächste Sitzung begann er mit dem Vorlesen einer Email, die ihn offensichtlich etwas irritierte. Ein Student schrieb ihn an, weil er den Titel des Buches von Weber erfragen wollte. Diese Frage beantwortete unser Professor. Dann las er die zweite Frage vor: “Könnten Sie mir ferner sagen, wo ich dieses Werk finden kann?” Die Antwort auf diese Frage blieb er schuldig. Zu Recht, wie wir alle fanden.

Diese Tendenz wird in Zukunft zunehmen und ist laut Gratton eine Folge der Beschleunigung. In Ruhe nochmal nachdenken oder selbst zu forschen wird abnehmen. Stattdessen entwickeln wir eine Neigung andere mit jeder Kleinigkeit zu belästigen, verbunden mit der Erwartung, zügig eine Antwort zu erhalten.

Die ständige Erreichbarkeit verbunden mit der Aufforderung sofort verfügbar zu sein, wird insbesondere von der Technik begünstigt. Man erinnere sich nur an den jüngsten Skandal um Whatsapp. Man kann nicht leugnen, eine Nachricht erhalten zu haben. Und wenn man sie erhalten hat, aber nicht reagiert, sieht man sich unangenehmen Fragen ausgesetzt.

Diese Erreichbarkeit erzeugt selbst dann Stress, wenn man sich weigert ständig verfügbar zu sein, geschweige denn auf jede Anfrage sofort zu reagieren. Der Produktivitätsexperte David Allen hat völlig Recht, wenn er behauptet, dass jede unerledigte Aufgabe Stress erzeugt. Unser Gehirn kann nicht anders, als uns ständig daran zu erinnern, dass da noch etwas offen ist. Kein Wunder, dass viele Menschen schon heute, unter der Last unerledigter Aufgaben leiden. Nicht jede Aufgabe, Email und Anfrage verdient unsere Aufmerksamkeit, aber jede Aufgabe schwirrt uns im Kopf, sofern sie nicht vernünftig abgelegt wurde.

Drei Konsequenzen einer zersplitterten Welt

Laut Gratton hat die Zersplitterung drei negative Konsequenzen. Die wollen wir uns nun näher anschauen.

1. Unsere Konzentrationsfähigkeit schwindet dahin

Vor geraumer Zeit wurde ich Zeuge einer Unterhaltung zwischen zwei jungen Studentinnen, die mich sehr erschreckte. Die Damen saßen neben mir in der Straßenbahn und unterhielten sich über die eigenen Ziele. Die Redselige, kaum älter als neunzehn, legte der Schweigsamen Ihre Studienpläne dar. Den Bachelor wollte sie in zwei statt drei Jahren absolvieren und der Master soll nach einem Jahr fertig sein. In dieser kurzen Zeit plante sie natürlich auch mindestens zwei Praktika ein. Sie wollte nicht zu viel Zeit an der Uni verschwenden, sondern zügig einen Abschluss machen und praktische Erfahrung sammeln.

Mich erschreckte weniger die Tatsache, dass sie ihr Studium schnell beenden wollte, sondern vielmehr die Überzeugung, dass man in zwei Jahren eben soviel lernen kann wie in drei Jahren. Davon war sie einfach überzeugt. Doch kann man wirklich in weniger Zeit mehr lernen? Ich bezweifle das und laut Gratton sind das die ersten Anzeichen der Zersplitterung.

In Zukunft wird es uns zunehmend schwer fallen, einer Aufgabe viel Zeit zu widmen. Malcolm Gladwell veröffentlichte vor Kurzem sein Buch ‘Outliers. The Story of Success’, in dem er die These untermauert, dass wirkliches Können - ganz gleich in welchem Bereich - erst nach 10.000 Stunden investierter Zeit erreicht wird. Und Lynda Gratton behauptet, dass in der zukünftigen Arbeitswelt insbesondere Spezialisten gefragt sein werden. Und hier sieht Sie die Hauptgefahr der Zersplitterung.

In einer beschleunigten Welt werden wir kaum die Zeit - geschweige denn die Muße haben -, uns einer Disziplin so intensiv zu widmen. Und es wird nicht nur ein Problem der Zeit sein, die zunehmend ein knappes Gut wird. Vielmehr leidet unsere Konzentrationsfähigkeit langfristig. Wir werden nicht die Geduld aufbringen können, konzentriert an einer Arbeit zu sitzen. Es muss eben schnell gehen und vor allem abwechslungsreich sein.

Vor Kurzem lernte ich die Smartphone-App ‘Blinkist’ kennen, die ein Produkt dieser Entwicklung ist. Die App erlaubt es einem, den Inhalt eines Sachbuches innerhalb von 15 Minuten zu erfassen. Die Entwickler bereiten den Inhalt in kurzen Texten auf, so dass man das Buch nicht mehr lesen muss. Die Idee überzeugt und wird sich sicherlich durchsetzten. Wozu überhaupt noch ein Buch lesen, wenn man einen guten Überblick erhalten kann?! Das jedenfalls ist ein Modell der Zukunft.

Wer ständig in einem Dreiminutentakt arbeitet, eignet sich spezifische Gewohnheiten an, die eine intensive Auseinandersetzung nicht mehr erlauben. Man verlernt es, konzentriert zu arbeiten oder zu lesen. Eltern berichten schon heute, dass ihre Kinder Schwierigkeiten haben, konzentriert an einer Aufgabe zu sitzen.

2. Keine Zeit aus Beobachtungen zu lernen

zukunftarbeit

Ich liebe rasante Filme, die einem kaum Zeit zum Nachdenken lassen und den Akteur durch die Geschichte jagen. Auf der Leinwand bereiten mir solche Filme wirklich Freude. Doch stellen Sie sich vor, dass wir diese Protagonisten sind. Jill gehört sicherlich zu dieser Kategorie. Ihr Arbeitstag im Büro ist nicht länger als sechs Stunden und doch dreht sich alles in Ihren Leben um Arbeit. Bevor sie ins Büro fährt, beschäftigt sie sich damit und auch nach Ihrer Rückkehr schwirrt ihr die Arbeit im Kopf herum.

Sie hat kaum Zeit, zu beobachten, wie ihr Leben verläuft. Lynda Gratton meint, das uns das allen bevorsteht. Die Fähigkeit aus Beobachtungen zu lernen, ist so alt, wie das Denken selbst. Beobachtung erlaubt uns, das Leben in die Bannen zu lenken, die wir wirklich wollen. Nur wenn wir erkennen, was falsch läuft, können wir Korrekturen vornehmen. Doch in einer getriebenen Welt, in der wir uns kaum konzentrieren können, haben wir auch kaum die Zeit, einfach nur zu beobachten.

Schon heute können viele Menschen stille Momente einfach nicht ertragen. Ständig muss etwas passieren, ständig ein Input, ständig muss agiert werden. Wir verlernen zunehmend, uns einfach in der Stille hinzusetzten und das Dasein zu genießen. Aber genau das ist notwendig, wenn man beobachten möchte. Dabei geht es nicht nur darum, uns selbst zu beobachten, sondern auch andere Menschen. Gemeinhin lernen wir das Meiste durch andere Menschen, die in einem Bereich schon eine Könnerschaft erreicht haben. In dem wir uns anschauen, was diese Menschen tun, können wir unserer Leben verbessern.

Das Leben hin und wieder aus einer Vogelperspektive zu betrachten, kann wirklich beglückend sein. Unser Leben erscheint uns dann als eine Geschichte, die Sinn macht. Die Akteure in rasanten Filmen haben dafür keine Zeit und Gott sei Dank endet so ein Film nach etwa 90 Minuten, denn länger kann man diese Geschwindigkeit nicht ertragen.

3. Die Kreativität bleibt auf der Strecke

Die moderne Arbeitswelt wird kreative Köpfe benötigen. Paradoxerweise wird Kreativität in einer zersplitterten Welt am meisten leiden. Kreativität setzt sich zusammen aus Spontanität und Spiel. Wir sitzen an der Lösung einer Aufgabe und probieren zahllose Kombinationen aus, um schließlich eine gute Antwort zu finden. Das erfordert Zeit, Ruhe und eine Atmosphäre von Freiheit. Wer im Dreiminutentakt arbeitet, dem fehlen eben diese Voraussetzungen. Stattdessen zählen sofortige Ergebnisse.

Der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower hatte bekanntlich eine schöne Methodeentwickelt, um seine Aufgaben zu erledigen. Er organisierte seine Arbeit anhand von vier Körben:

• Korb 1: wichtig und dringend

• Korb 2: wichtig aber nicht dringend

• Korb 3: nicht wichtig aber dringend

• Korb 4: nicht wichtig und nicht dringend

Diese Methode erlaubt einem Menschen seine Arbeit und Zeit gut zu sortieren. Stephen R. Covey, der Produktivitätsguru, behauptet, dass wir bereits heute von drei dieser Körbe besonders belastet werden. Wir erledigen ständig Arbeiten, die wichtig und dringend sind (Korb 1). Das sind Krisen, Projekte mit einer Deadline und Probleme, die einer Lösung bedürfen. Man kann diese Aufgaben nicht ignorieren und gleichzeitig sind es die Aufgaben, die uns enorme Kräfte rauben. Als Ausgleich wechseln wir dann oft in Korb 4 mit nicht wichtigen und nicht dringenden Aufgaben. Sie sind unser Ausgleich zu den Krisen. Hier beschäftigen wir uns mit Arbeiten, die einfach nur trivial sind, getrost unerledigt liegen bleiben können oder die uns einfach Freude bereiten, ohne einen Nutzen zu haben. Und wieder andere sitzen ständig im Korb 3 und glauben Arbeiten zu erledigen, die im Korb 1 sind. Sie reagieren auf dringende Aufgaben, die aber nicht wichtig sind. Das sind die Menschen, die an einer wichtigen Arbeit sitzen, plötzlich von einer Email unterbrochen werden und sofort antworten.

Die wirklich relevanten Arbeiten liegen im Korb 2 mit den wichtigen aber nicht dringenden Aufgaben. In diesem Korb liegt auch der Schlüssel zur Kreativität. Was sind das für Tätigkeiten? Das kann eine Fortbildung sein, die Ihre Berufsaussichten verbessern würde, die aber nicht dringend ist, weil Sie bereits eine Arbeit haben. Das kann die Pflege von Beziehungen sein, die das Leben bereichern, aber oft vernachlässigt wird, weil die Beziehungen auch noch nächsten Monat gepflegt werden können. Kurz gesagt liegt im Korb 2 alles was uns wirklich wichtig ist, das aber unsere Disziplin erfordert, um erledigt zu werden. Diese Aufgaben haben nie eine Deadline, so dass niemand auf uns zukommt und fragt, wann sie erledigt sind. Wenn ein Mensch bereut, etwas nicht getan zu haben, dann war es meisten eine Aufgabe aus Korb 2.

Die Aufgaben aus Korb 2 erfordern alles, was in der zukünftigen Arbeitswelt ein knappes Gut sein wird: Konzentration, Beobachtungsgabe und Kreativität. Kreativität kann sich nur entfalten, wenn wir die Freiheit besitzen, uns den wichtigen Aufgaben zu widmen. Aber weil wir ständig Krisen managen, kommen wir so selten zu diesen Aufgaben. Der Schlüssel für mehr Kreativität und Könnerschaft liegt darin, dass wir Korb 3 und 4 so oft wie möglich meiden und Korb 1 reduzieren, damit wir viel Zeit in Korb 2 verweilen können. Hier können wir Optionen entwickeln, planen und nach Strategien suchen, die unser Leben wirklich bereichern.

Genau dafür hat Jill keine Zeit und Kraft. Sie managet ganz viele Krisen, die wichtig und dringend sind. Und Abends lässt sie sich vom Fernseher berieseln, der zu der Kategorie ‘nicht wichtig und nicht dringend’ gehört.

Und was hat all das mit Philosophie zu tun?!

Nun stellt sich die Frage, was das mit Philosophie zu tun hat?! Die Welt wird zersplittert sein, nun gut, aber wieso sollte in solch einer Welt Philosophie wichtig sein?! Ganz einfach: Philosophie zwingt zur Konzentration, lehrt zu beobachten und erfordert viel Kreativität.

Schauen wir uns das mal genauer an.

Wir sitzen an einem Montagmorgen in einem Seminarraum und warten auf den Professor. Das Seminar behandelt Sören Kierkegaards ‘Die Krankheit zum Tode’. Der Professor erscheint pünktlich, begrüßt uns ganz herzlich und öffnet das Buch.

Wer möchte den ersten Abschnitt lesen?

Ein Kommilitone meldet sich und liest:

Der Mensch ist Geist. Doch was ist Geist? Geist ist das Selbst. Doch was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder es ist in diesem Verhältnis jenes, dass dieses sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass sich das Verhältnis zu sich selbst verhält. Der Mensch ist eine Synthese aus Unendlichkeit und Endlichkeit, aus dem Zeitlichen und dem Ewigen, aus Freiheit und Notwendigkeit, kurz: eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen zweien. So gesehen ist der Mensch noch kein Selbst.

Den Rest der 90 Minuten verbringen wir damit, zu verstehen, was Kierkegaard mit diesen Ausführungen meint. Erinnern Sie sich an Blinkist?! Die App, die verspricht, jedes Buch in nur 15 Minuten vorstellen zu können?! Und da sitzen wir und diskutieren 90 Minuten über einen kurzen Absatz.

Die Seminare in der philosophischen Fakultät sahen fast immer so aus und ich liebte sie. Freunde und Bekannte fragten mich immer wieder: ‘Und was macht man mit Philosophie nach dem Studium?’ Ich konnte diese Frage nie verstehen. Die Fähigkeit zu denken, erscheint mir so wichtig und gleichzeitig so wenig geschätzt zu sein. Die Muße zu haben, über einen Satz stundenlang zu meditieren, hat etwas elektrisierendes und bereitet mir bis heute viel Freude.

Und als ich Lynda Grattons Projektion der zukünftigen Arbeit las, wurde mir noch deutlicher, warum Philosophie bis heute eine wichtige Funktion hat. Man kann ein philosophisches Werk nicht in 15 Minuten lesen. Man muss sich konzentrieren, um es erfassen zu können. Ferner lernt man gerade von Philosophen richtig zu beobachten. Und diese Fertigkeiten erlauben einem, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Wer sich also auf die Zukunft der Arbeit gut vorbereiten möchte, dem empfehle ich die Lektüre philosophischer Werke.