In letzter Zeit streite ich immer wieder mit Bekannten über die TTIP-Verhandlungen. Ein großer Teil der Deutschen lehnt diese Verhandlungen ab.

Drei Punkte werden besonders kritisch betrachtet. Zunächst bemängeln Gruppen wie attac und Campact, dass die Verhandlungen undemokratisch sind. Hier wird also die input-Seite der Verhandlungen angegriffen. Auf der output-Seite werden vor allem zwei Argumente gegen TTIP angeführt: Es wird befürchtet, dass der deutsche Verbraucherschutz ausgehebelt und gleichzeitig ein trojanisches Pferd eingebaut wird, das künftig amerikanischen Unternehmen erlaubt, den deutschen Staat auf Schadensersatz zu verklagen.

Ich möchte in diesem Beitrag gar nicht auf diese Kritik eingehen, sondern bei NULL beginnen. Was mir bei dieser ganzen Debatte fehlt, sind weniger ideologische Informationen. Politiker sagen das Abkommen ist gut, Kritiker behaupten, es sei schlecht. Politiker wie Kritiker führen jeweils Studien an, um Ihre Argumente zu bekräftigen. Wie soll man da durchblicken?!

Ich vermisse hier gewisse Informationen, die helfen zu verstehen, worin das grundlegende Problem solcher Verhandlungen besteht. Diese Probleme möchte ich in einer Reihe von Artikeln vorstellen, damit Menschen besser bewerten können, was an den Argumenten verschiedener Gruppen dran ist.

Ökonomen und Ihr Verhältnis zum Handel

Ökonomen irren sich bekanntlich oft, weshalb man gerne Witze über sie macht. Einer dieser Witze besagt, dass Ökonomen erfolgreich sieben der letzten fünf Rezessionen vorhergesagt haben. Und die Lieblingsantwort eines Ökonomen auf fast jede Frage?! It depends! Es scheint, als würden Ökonomen kaum gesicherte Erkenntnisse hervorbringen.

Natürlich ist das Unsinn. Ökonomen mögen einfach nur Witze. Tatsächlich kommen die meisten von ihnen selbst. Die Volkswirtschaftslehre kämpft mit den gleichen Problemen wie jede andere Disziplin: Eine Theorie ist nur solange gültig, bis sie falsifiziert wurde. Kurz gesagt, bewegen wir uns von einer falschen Erkenntnis zur nächsten.

Doch manche Theorien halten sich sehr lange und eine dieser Theorien besagt, dass Freihandel immer besser als Protektionismus ist. Diese Idee wird von beinahe allen Ökonomen vertreten und das seit nun über 200 Jahren. Das heißt schon was. Gewöhnlich stimmen Ökonomen nie überein.

Doch nicht nur Ökonomen sind sich einig, auch die Gesellschaft einigt eine Überzeugung. Die Gesellschaft ist nämlich seit fast über 200 Jahren überzeugt, dass Handelsliberalisierung schlecht ist. Genau das kann man wieder bei den TTIP-Verhandlungen beobachten. Die Argumente haben sich in den letzten 200 Jahren ebenfalls kaum geändert.

Wer die TTIP-Verhandlungen verstehen möchte, sollte deshalb verstehen, warum Handelsliberalisierung von der Volkswirtschaftslehre befürwortet und von der Gesellschaft abgelehnt wird.

Würden Ökonomen die Welt regieren, gäbe es keinen Protektionismus

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman vertritt die Ansicht, dass es keinen Bedarf für eine Welthandelsorganisation und für solche Verhandlungen wie TTIP geben würde, wenn Ökonomen an der Macht wären: Sie würden den Handel unilateral liberalisieren.

Das liegt daran, dass Ökonomen überzeugt sind, dass der Abbau von Handelsbarrieren selbst dann einer Gesellschaft zugute kommt, wenn alle anderen Länder Ihre Barrieren aufrecht erhalten. Die Gewinne durch günstige Importe würden noch immer die Kosten durch entgangene Exporte übersteigen. Das sieht die Gesellschaft freilich anders. Die glaubt nämlich, dass Exporte gut und Importe schlecht sind.

In diesem Zusammenhang finde ich es immer recht amüsant, wenn sich Bürger über den unfairen Wettbewerbsvorteil von Ländern wie China oder Indien empören. Deutschland ist dafür ein Paradebeispiel, weil es gerade von Exporten lebt. Kein Deutscher würde je behaupten, dass es unfair ist, unsere Produkte in die Welt zu exportieren. Schließlich sind diese Produkte gut.

Wenn hingegen Länder wie China oder Indien Ihren Wettbewerbsvorteil nutzen - nämlich billige Arbeitskräfte -, dann finden wir das anstößig. Wir sehen, dass diese billigen Arbeitskräfte unsere Wirtschaft angreifen, weil wir damit nicht konkurrieren können. Wir sehen aber nicht, dass sich vielleicht China nicht entwickeln kann, weil es mit deutschen Produkten nicht konkurrieren kann. Unser Vorteil ist fair, der Vorteil anderer Staaten unfair.

Faktisch gesehen gab es nie so etwas wie einen Freihandel, weil der Protektionismus einfach zu stark ist. Handel hat in den letzten 2 Jahrhunderten enorm zugenommen, aber der Protektionismus lebt bis heute weiter fort und zwar in der Argumentation, die ich gerade angeführt habe. Der Wettbewerbsvorteil unserer Konkurrenten ist schlecht, unser Vorteil hingegen gut. Wir müssen uns also vor dem Schlechten schützen und unser Gutes exportieren.

Diese protektionistischen Stimmen sind immer dann besonders laut, wenn es der heimischen Wirtschaft gerade nicht gut geht. Das ist momentan in Europa der Fall. Weshalb der Widerstand gegen TTIP so massiv ist.

Doch schauen wir uns an, was Ökonomen für eine Handelsliberalisierung vorbringen und warum die Gesellschaft das ablehnt.

Vom Handel profitieren alle, vom Protektionismus nur bestimmte Zweige

Die erste Phase einer Handelsliberalisierung setzte 1846 in Großbritannien an. Damals schaffte die Regierung mit den corn laws die Einfuhrzölle auf Getreide ab. Bis dato schütze das Land die heimischen Bauer vor ausländischer Konkurrenz.

Die hohen Einfuhrzölle sollten sicherstellen, dass heimische Bauern nicht in Bedrängnis kamen und allen voran ihre Jobs nicht verlieren. Dieser Schutz hatte aber seinen Preis. Die Bauern hatten keinen Anreiz konkurrenzfähig zu bleiben und forderten für Getreide viel höhere Preise als es auf dem Weltmarkt üblich war. Das größte Problem lag aber darin, dass sie den Bedarf nach Getreide nicht decken konnten.

Lange Zeit konnten sich die Bauern trotzdem gegen den Abbau der Zölle durchsetzen. Sie bildeten eine Gruppe, die Ihre Interessen erfolgreich vertreten konnte. Sie drohten Ihren Politikern mit Stimmenverlust. Die Politiker gaben diesem Druck nach.

Irgendwann geriet Großbritannien aber so in Bedrängnis, dass eine Liberalisierung des Getreidehandels die einzige Möglichkeit war, um die Bevölkerung vor einer Hungersnot zu schützen. Diese Liberalisierung kam aber zu spät und zwischen 1845 und 1849 verhungerte über eine Million Menschen in Irland.

In dieser ersten Phase der Handelsliberalisierung kann man bereits die Argumente finden, die auch heute gegen TTIP vorgebracht werden. Die Kritiker sind gut organisiert und fähig Ihre Argumente lautstark zu artikulieren und sie fürchten immer um Jobs und Standards der Gesellschaft.

Wo sind die Befürworter einer Liberalisierung?! Wer profitiert vom Handel?! Warum hört man von ihnen so wenig?!

Ganz einfach. Die ganze Gesellschaft profitiert von einer solchen Liberalisierung aber die ganze Gesellschaft stellt keine organisierte Gruppe dar. Deshalb hört man von dieser Gruppe nichts.

Man kann es sehr schön in eine Grafik packen, die zeigt, warum der Freihandel immer schlechter dasteht als der Protektionismus.

Gefangenendilemma Handelspolitik

P bezeichnet den Gewinn, den ein Land durch Exportmärkte erhält, - c verweist auf den Verlust durch die Öffnung der eigenen Märkte. P ist immer größer als - c und - c ist immer größer als 0. Allerdings strebt jedes Land an, den Gewinn P einzuheimsen, und den Verlust - c auf den Konkurrenten abzuwälzen. Jedes Land hat deshalb einen Anreiz, seine Märkte zu schützen, gleichzeitig aber zu fordern, dass andere ihre öffnen.

In der Sprache der Spieltheorie ist der Protektionismus eine dominante Strategie. Wenn alle Länder diese Strategie verfolgen, verharren sie im Status quo – sie verlieren nichts, gewinnen aber auch nichts –. Das ist allerdings immer noch besser als die eigenen Märkte zu öffnen, ohne dass andere mitziehen. Die unilaterale Öffnung der eigenen Märkte (- c) wäre langfristig noch immer besser als ein Status quo, weil ein Land nun von günstigen Importen profitieren würde. Aber das kann kaum ein Politiker der Gesellschaft verkaufen, weil zunächst nur die Verluste sichtbar wären und in der Gesellschaft die Ansicht vorherrscht, dass Exporte gut und Importe schlecht sind. Die bestmögliche Lösung wäre erreicht, wenn alle Länder den Freihandel implementieren: Die Gewinne wären nämlich für alle erkennbar und die Verluste auf verschiedene Gruppen verteilt.

Die Kritiker haben also durchaus Recht. Eine Handelsliberalisierung produziert immer Gewinner und Verlierer. Industriezweige, die nun mit ausländischen Firmen konkurrieren müssen, gehen vielleicht unter und Jobs werden abgebaut. Aber genauso profitiert eine Gesellschaft von einer Liberalisierung. Überlegen Sie nur, wie unsere Welt aussehen würde, wenn wir nur das kaufen könnten, was in Deutschland produziert wurde. Diese Zeilen könnte ich gar nicht schreiben, weil Deutschland keine guten Laptops herstellt. Produktvielfalt und günstige Preise sind das Ergebnis einer Handelsliberalisierung.

Ich erinnere mich beispielsweise an die Einkäufe meines Freundes. Er liebte New Balance Sneaker und ärgerte sich immer über die künstlich hohen Preise in Deutschland. Die Schuhe waren in den USA um ein vielfaches billiger. Irgendwann war er es leid und begann die Schuhe direkt in den USA zu ordern. Wer das tut, kriegt das Produkt nicht einfach nach Hause geliefert, sondern macht Bekanntschaft mit dem Zollamt. Dort musste ich dann seine Schuhe regelmäßig abholen. Pro Lieferung zahlte er in der Regel 7 % Zoll. Sogar mit diesen 7% Zoll und den Versandkosten kam mein Freund billiger weg, als wenn er die Schuhe in Deutschland gekauft hätte. Er würde also von einer Liberalisierung des Handels profitieren.

Aber in einer Debatte um Liberalisierung wird man seine Stimme nicht hören, weil Konsumenten keine einheitliche Gruppe bilden, Schuhverkäufer hingegen schon. Die wehren sich gegen einen solchen Zollabbau, weil sie dann Ihre Schuhe nicht mehr so teuer verkaufen können. Sie benötigen eine andere Strategie, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Was erwidern Ökonomen auf diese Kritik?! Wenn bestimmte Wirtschaftszweige durch eine Handelsliberalisierung wirklich in Bedrängnis kommen, wie kann man trotzdem für die Liberalisierung sein?!

Der komparative Kostenvorteil oder warum Handelsliberalisierung langfristig immer die bessere Alternative ist

Alles begann im 18. Jahrhundert mit Adam Smith und David Ricardo. Beide Ökonomen entdeckten, dass es für eine Gesellschaft vorteilhafter ist, wenn sie sich dem internationalen Handel öffnet. Das begründeten sie mit den komparativen Kostenvorteil. Ökonomische Textbücher, wie das von N. Gregory Mankiw und Mark P. Taylor, führen in diese Idee mit einer simplen Situation ein.

Nehmen wir an, es gäbe auf dieser Welt nur zwei Länder. Land A heisst Ackerbau und Land B Viehbau. Ackerbau produziert Kartoffeln und Viehbau Fleisch. Beide Länder sind ebenfalls in der Lage die anderen Produkte zu erzeugen. Ackerbau kann also auch Fleisch herstellen, aber bei weitem nicht so gut wie Viehbau. Und umgekehrt kann Viehbau auch Kartoffeln anbauen. Nehmen wir ferner an, dass Viehbau sowohl in der Fleischproduktion wie auch im Kartoffelanbau besser und produktiver ist als Ackerbau. In einer Grafik sieht es so aus.

Moeglichkeiten

In unserem Beispiel hat das Land Viehbau einen absoluten Kostenvorteil, weil es sowohl in der Produktion von Kartoffeln wie auch von Fleisch besser ist. Es muss weniger Zeit investieren und kann trotzdem mehr erzeugen als das Land Ackerbau.

Viehbau bringt also alles mit, um auf Handel verzichten zu können. Trotzdem empfehlen Ökonomen, dass sich sowohl Viehbau wie auch Ackerbau dem Handel öffnen. Und das begründen sie mit Opportunitätskosten und dem komparativen Kostenvorteil. Opportunitätskosten bezeichnen immer die Dinge, die wir aufgeben müssen, um andere zu erlangen. Ich kann nicht gleichzeitig diesen Artikel schreiben und im Wald spazieren gehen. Eines muss ich aufgeben, um ein anderes tun zu können.

Die gleichen Abwägungen müssen unsere zwei Länder durchspielen. Hier geht es vor allem um die Frage, welches Land in der Produktion eines Gutes geringere Opportunitätskosten hat. Schauen wir uns das mal in der Grafik an.

kosten

Jetzt wird es mathematisch, aber keine Sorge, das kriegen wir schon hin. Ein Pfund Kartoffeln kostet das Land Ackerbau 1/4 Pfund Fleisch. Warum? Es kann 1 Pfund Kartoffeln in 15 Minuten erzeugen. Diese 15 Minuten fehlen ihm dann für die Fleischproduktion. Man erinnere sich, dass es 1 Pfund Fleisch in 60 Minuten erzeugt. In 15 Minuten Kartoffelanbau verliert es folglich 1/4 Pfund Fleisch.

Anders sehen die Kosten für das Land Viehbau aus. Dieses Land kostet 1 Pfund Kartoffeln 1/2 Pfund Fleisch. In 10 Minuten erzeugt es 1 Pfund Kartoffeln, in 20 Minuten 1 Pfund Fleisch. Die 10 Minuten, die es für den Kartoffelanbau einsetzt, fehlen ihm bei der Fleischproduktion, deshalb entsprechen 10 Minuten 1/2 Pfund Fleisch.

Wer aufmerksam die Tabelle betrachtet, wird feststellen, dass jedes unserer Länder in einem Bereich geringere Opportunitätskosten hat. Ackerbau kostet 1 Pfund Kartoffeln nur 1/4 Pfund Fleisch, Viehbau hingegen 1/2 Pfund. Ackerbau hat folglich einen komparativen Kostenvorteil bei der Produktion von Kartoffeln. Es verliert weniger als Viehbau, wenn es die Fleischproduktion einstellt. Es sollte nur noch Kartoffeln anbauen. Umgekehrt kosten Ackerbau 1 Pfund Fleisch 4 Pfund Kartoffeln, Viehbau hingegen nur 2 Pfund. In diesem Fall verliert Viehbau weniger als Ackerbau, wenn es den Kartoffelanbau sein lässt. Viehbau hat folglich einen komparativen Kostenvorteil in der Erzeugung von Fleisch.

Obwohl das Land Viehbau alles besser und schneller erzeugen kann als Ackerbau, liegt sein komparativer Kostenvorteil in der Fleischproduktion. Auch das Land Viehbau profitiert folglich vom Handel. Das Ergebnis einer Spezialisierung findet sich in der folgenden Tabelle.

Handelsgewinne

Wer sich die Zahlen genauer ansieht, wird schnell sehen, warum Ökonomen in fast jeder Situation den Handel empfehlen. Beide Länder profitieren von einer Spezialisierung und der Öffnung ihrer Märkte. Aber natürlich verliert jedes Land auch etwas. Das Land Ackerbau muss die Fleischproduktion einstellen und die Mitarbeiter entlassen. Gleiches gilt für das Land Viehbau; Es reduziert den Kartoffelanbau und benötigt hier weniger Arbeitskräfte. Im Modell der Ökonomen stellt das kein Problem dar, weil die entlassenen Mitarbeiter in die andere Branche wechseln können, wo nun mehr Arbeitskräfte benötigt werden. Dieser Prozess kann freilich schmerzhaft werden, weil die Kartoffelanbauer erst für die Erzeugung von Fleisch umgeschult werden müssen.

In diesem Modell können wir also bereits sehen, warum die Liberalisierung des Handels so oft abgelehnt wird. Kurzfristig verlieren bestimmte Gruppen. Die Gewinne übersteigen die Verluste aber Politiker müssen auf kurzfristige Verschlechterungen reagieren, andernfalls verlieren sie Wählerstimmen.

Natürlich gestaltet sich die Realität viel komplexer und die Theorie des komparativen Kostenvorteil musste im Laufe der Zeit immer wieder modifiziert werden. Aber diese Grundlage sollte zumindest verstanden werden. Mit dieser Grundlage können wir dann besser bewerten, worin das Problem der TTIP-Verhandlungen liegt.

In kommenden Artikeln werden ich mich bemühen, die einzelnen Streitpunkte zu erläutern.

Wenn euch diese Ausführung gefallen haben, dann teilt es mir mit. Wenn ihr sie ablehnt, dann erst recht.

Verwendete Grafiken

Grafik 1: Damian Münzer: Die Komplexität multilateraler Verhandlungen am Beispiel der Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation, Bonn 2010, S. 37.

Grafik 2: Mankiw/ Taylor: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 5.Aufl., 2012, S. 59.

Grafik 3: Mankiw/ Taylor: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 5.Aufl., 2012, S. 65.

Grafik 4: Mankiw/ Taylor: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 5.Aufl., 2012, S. 63.