Sie sind 14 Jahre alt, leben mit Mutter, Vater und Schwester in einem Dorf in Rumänien. Es ist das Jahr 1944. Das Dorf ist weit entfernt vom Kriegsgeschehen und von den Gräueln, über die vereinzelt Gerüchte kursieren. Diese Gerüchte spiegeln jedoch absolut nicht ihre Wirklichkeit wider.

Ihre Wirklichkeit ist geprägt von normalen Sorgen, von Schule, vom Spiel mit anderen Kindern, Helfen im Haushalt, Mittagessen und Hausaufgaben. 

Eines Tages betritt das Militär ihr Dorf und erteilt allen Juden Hausverbot. Sie erhalten nur noch zu bestimmten Zeiten Ausgang, sind aber sonst in ihrem Haus eingesperrt. Sie warten und wissen nicht, was los ist. Informationen erhalten sie keine.

Irgendwann kommt dann doch eine Nachricht: „Packt alles zusammen in Koffern. Wir werden umgesiedelt! Morgen früh geht es los.“

„Wohin?!“, fragen sie.

Niemand weiß es.

Am nächsten Morgen geht die Reise dann los. Sie werden in Zügen transportiert, die sonst nur Schweine befördern. Mehr sind sie auch nicht mehr wert, sie wissen es nur noch nicht. 

Nein, selbst Schweine haben in dieser neuen Welt mehr Anspruch auf Leben als sie. Deshalb erhalten sie in dieser tagelangen Reise auch keine Nahrung. Sie werden bereits auf etwas vorbereitet, das bald Normalität wird: Hunger!

Irgendwann bleibt der Zug stehen und ein Insasse schreit:

Auschwitz!

Niemand kennt diesen Ort.

Und wieder Warten.

Irgendwann fährt der Zug weiter. Wenn er wieder stehen bleibt und die Türen sich öffnen, ist es tiefste Nacht.

Dann geht alles schnell von der Bühne.

Alle aussteigen.

Männer und Jungs rechts; Frauen und Mädchen links. Ihre Mutter und Schwester sehen sie zum letzten Mal. Das wissen sie nur noch nicht. Keine Zeit für Abschied. Beide werden wenige Stunden später Geschichte sein. Vergast und zur Asche verbrannt. Das erfahren sie erst Jahre später.

Sie und ihr Vater müssen in eine andere Richtung gehen.

Ein Insasse fragt, warum sie sich nicht umgebracht haben?! Sie schauen ihn entgeistert an, weil die Frage so verstörend ist.

„Wisst ihr denn nicht, wo ihr hier seid?!“ Sie schütteln den Kopf.

Der Insasse zeigt auf den Rauch, der aus dem Krematorium emporsteigt und sagt: „Dort werdet ihr verbrannt werden.“

Sie können es nicht glauben. Wenige Tage zuvor lebten sie noch unbehelligt in einem kleinen Dorf, wo Menschen sich grüßten und freundlich miteinander waren. Doch sie haben keine Zeit darüber nachzudenken. Sie sollen weiter gehen.

Plötzlich stehen sie vor dem berüchtigten Dr. Mengele. Er stellt einige Fragen zu ihrer Gesundheit und entscheidet dann, ob sie links oder rechts gehen sollen.

Eines dieser Wege führt in den sicheren Tod. Das spüren sie regelrecht.

Bei ihnen weist Mengele in die linke Richtung. Sie gehen weiter und sehen plötzlich eine Feuersbrunst. Ein LKW fährt rückwärts ans Feuer und entlädt eine Ladung Babies.

Ja, sie hören richtig: Eine Ladung Babies wird ins Feuer entladen.

Vor wenigen Tagen spielten sie noch mit ihren Freunden, nun sehen sie, wie Babies im Feuer verbrannt werden. Doch sie haben keine Zeit es zu verarbeiten. Sie sollen schnell weiter gehen.

All diese Eindrücke beschreiben gerade mal 15-20 Minuten des ersten Aufenthalts. Willkommen in der Hölle. Willkommen im Auschwitz im Jahr 1944.

Elie Wiesel, hat uns diese Eindrücke hinterlassen. Er überlebte diese Hölle. Seine Familie nicht.

Buchempfelung

Elie Wiesel - Nacht